Your Brain is Your Brain

Fotos der Plakatwände · Zehntausend Schritte

du denkst niemals dasselbe<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

du denkst niemals dasselbe

Die Welt wahrzunehmen, ist ein komplexes Geschehen. Es setzt voraus, dass wir in der Lage sind, Zusammenhänge zu verstehen, aufmerksam zu sein, zu empfinden, uns zu erinnern, Pläne zu schmieden, Entscheidungen zu treffen, zu handeln und vor allem, dass wir immerfort lernen. Heraklit sagt: „Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss, denn es ist nicht derselbe Fluss und man ist nicht derselbe Mensch.“

Tagein, tagaus, Ereignis für Ereignis nehmen wir alles wahr, was um uns herum passiert, und handeln entsprechend. Indem wir fortwährend die Ergebnisse unserer Sinneseindrücke und unseres Handelns integrieren, adaptieren wir zwangsläufig Veränderungen in unserem Umfeld. Neue Gedanken, Empfindungen und Handlungen werden stetig in schon existierende neuronale Strukturen eingebunden und bewirken dort eine permanente Neustrukturierung. Diese neuronalen Umbauprozesse ermöglichen uns, Informationen auf eine nie zuvor wahrgenommene Weise zu verarbeiten, zu interpretieren und danach zu handeln. Daher hängt unsere Wahrnehmung der Welt nicht nur von der sich permanent verändernden Welt selber, sondern auch von unserem sich fortwährend verändernden mentalen Zustand ab.

Diese komplexe dynamische Neustrukturierung neuronaler Verbindungen, welche hauptsächlich durch die Neubildung von neuronalen Verzweigungen, den Dendriten, entstehen, bezeichnet man als neuronale Plastizität.

Ausgehend von dieser permanenten neuronalen Dynamik und Plastizität erscheinen uns Gewohnheiten, die auf rigiden Verhaltensweisen beruhen, widersprüchlich. Gewohnheiten bringen uns schließlich dazu, immer und immer wieder nach dem gleichen Muster zu handeln und zu denken. Das liegt daran, dass habituelles Verhalten nur spezifische neuronale Wege verstärkt, während andere Verbindungen geschwächt werden. Demnach werden nicht nur Verhaltensmuster, sondern auch neuronale Verbindungen habitualisiert. Um dem entgegenzuwirken, verlangt dein Gehirn aktives und bewusstes Denken wie Handeln, um sich von alten Verhaltensweisen trennen zu können. Die bestehenden, den Gewohnheiten zugrunde liegenden neuronalen Verbindungen werden dadurch geschwächt und Gewohnheiten transformiert. Einem jungen Menschen mag das leichter fallen, jedoch findet neuronale Plastizität während der gesamten Lebensdauer statt und ermöglicht es auch einem alternden Gehirn, neue Ideen, Erfahrungen und Verhaltensmuster zu entdecken und zu erlernen.

Judy Kipping

 

 

dein Gehirn macht dich glücklich<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

dein Gehirn macht dich glücklich

Dein Gehirn hat das Zeug dazu, dich glücklich zu machen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Neurotransmitter Dopamin. Dieser motivierende Botenstoff wird vornehmlich in einer Region deines Hirnstamms, dem ventralen tegmentalen Areal (VTA), gebildet. Von hier gelangt er über schlauchartige Nervenzellfortsätze zu anderen Regionen deines Hirns, zum Beispiel zu deinem hirneigenen Belohnungs- und Motivationshotspot, dem Nucleus Accumbens.

Immer wenn du etwas richtig gemacht hast, dich anstrengst, etwas zu erreichen, neue Erfahrungen sammelst oder lernst, belohnt dich deine Denkfabrik mit der vermehrten Ausschüttung von Dopamin und sagt dir so: „Gut gemacht! Mach das nochmal! Weiter so!“ Ohne diesen Motivationskünstler in deinem Hirn würdest du tagein, tagaus lethargisch auf dem Sofa liegen und gar nichts tun, so wie der Esel, dem die Karotte fehlt.

Das alles geschieht natürlich nicht ganz uneigennützig. Wenn du die mehr als 100 Milliarden Nervenzellen deines Gehirns forderst, indem du zum Beispiel eine neue Sprache oder Jonglieren lernst, entstehen neue Netzwerke, die die neuen Informationen kodieren. Dein Gehirn passt sich so seinen Anforderungen an und organisiert sich laufend neu. So macht nicht nur dein Gehirn dich glücklich, sondern auch du kannst dein Gehirn zum Strahlen bringen. Gib dir und deinem faszinierenden Denkorgan den Dopamin-Kick und stell dich neuen Herausforderungen. Dein Gehirn wird dich belohnen!

David Mathar

 

 

deine Synapsen warten auf Erregung<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

deine Synapsen warten auf Erregung

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Nervenzelle (Neuron). Stellen Sie sich weiter vor, Sie befinden sich auf einer großen Party (das Gehirn). Mit anderen Partygästen (anderen Neuronen) unterhalten Sie sich über eine gemeinsame Schnittstelle (Synapse). Immer dann, wenn eine neue Nachricht Sie erreicht, werden Ihre Ohren (die Dendriten) aktiviert.

Die meisten Informationen werden unterdrückt und deshalb nicht wirklich wahrgenommen (z. B. Gesprächsbeiträge von den Partygästen, mit denen Sie sich gerade nicht unterhalten). Die Nachricht Ihres aktuellen Gesprächspartners hat derzeit Ihre größte Aufmerksamkeit und deswegen die beste Chance, bei Ihnen wirklich anzukommen (die Nervenzellen zu erregen bzw. zu aktivieren).

Wenn Ihre Aufmerksamkeit geweckt wurde, kann es sein, dass Sie, die Nervenzelle, genau auf diese Aktivierung mit einer eigenen Nachricht an andere Nervenzellen antworten (Aktionspotenzial). Für diesen reziproken Erregungsprozess spielt der Zeitpunkt, zu dem die jeweilige Nachricht gesendet und aufgenommen wurde, eine entscheidende Rolle. Nur dann, wenn der Sendezeitpunkt der Nachricht mit Ihrer Aufmerksamkeit übereinstimmt, gelingt die Konversation. Betrachten wir eine Konversation, die in Abständen von Millisekunden stattfindet, exemplarisch:

Neuron 1 – Wie geht es dir?
Neuron 2 – Gut, vielen Dank, wie geht es dir?
Neuron 1 – Mir geht es auch gut, danke!

Offensichtlich spielt das, was Neuron 1 sagt, eine kausale Rolle für die Antwort von Neuron 2: Es scheint eine Input-Output-Beziehung zu bestehen. Beide Neuronen merken, dass die jeweiligen Informationen beim anderen Neuron angekommen sind. Wie steht es dagegen mit folgender Konversation?

Neuron 2 – Mir geht es gut, danke, wie geht es dir?
Neuron 1 – Wie geht es dir?
Neuron 2 – Spitze, erzähl mir mehr!

In dieser Unterhaltung gibt es keine Kommunikation zwischen den Neuronen, denn die jeweiligen Aussagen sind keine Antwort auf die vorangegangene Aussage. Im Fall der ersten Konversation – bei gegenseitiger Aufmerksamkeit und sinnvoller Kommunikation – werden die beiden Neuronen motiviert sein, die Unterhaltung fortzuführen, im zweiten Fall ist dies unwahrscheinlich.

Der genau richtige Zeitpunkt in der Kommunikation zwischen Neuronen (Spike-timing-dependent plasticity) spielt eine entscheidende Rolle: Wenn nämlich ein Neuron zu einem bestimmten Zeitpunkt erregt ist (Spike), zu dem das andere Neuron ebenfalls erregt ist, dann gelingt die Kommunikation zwischen den beiden Neuronen, der Kommunikationskanal (Synapse) wird effizienter.

Durch vorangehende Hirnaktivität passt sich das Gehirn an – vor allem in seinen internen Kommunikationsstrukturen (Plastizität). Diese Vorgänge spielen sich im Gehirn praktisch gleichzeitig zwischen Milliarden von Neuronen ab. Das bedeutet, dass sich das Gehirn kontinuierlich in großem Umfang anpasst und ständig verändert: Wertvolle Verbindungen werden effizienter, weniger sinnvolle Verbindungen werden abgeschwächt.

Neben den Verbindungen (Synapsen) gibt es auch noch andere Aspekte der Kommunikation. Wie bei der Party, bei der manche lieber Bier oder Wein trinken und andere alkoholfreie Getränke bevorzugen, so gibt es auch im Gehirn verschiedene Substanzen, die die Kommunikation beeinflussen (Neurotransmitter wie Dopamin, Glutamat, GABA etc.). Neben ihrer die Kommunikation modulierenden Aufgabe haben diese Substanzen noch eine weitere Funktion: Sie übermitteln bei bestimmten Synapsen die Nachricht von einem Ende des Neurons zum Anfang des nächsten Neurons und führen somit auch dort zur Erregung.

Soviel zur Analogie von Party und Gehirn. Sind Sie bereit zum Party-Talk? Warten Sie auf Erregung? Viel Spaß!

Virginia Conde

 

 

deine Erinnerungen sind unwirklich<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

deine Erinnerungen sind unwirklich

Erinnerungen erschaffen das Selbstbild eines Menschen. Erst durch sie – die guten wie die schlechten – formen sich Persönlichkeit, Denken und Handeln. Aber, so sagt der Psychologe Daniel Kahneman, „was wir von unseren Erlebnissen behalten, ist eine Geschichte“.

Das Gedächtnis arbeitet nicht wie ein Videorekorder. Wir sind Geschichtenerzähler, die einzelne Teile von Erlebnissen abspeichern und mit anderen Teilen anderer Ereignisse verbinden, um daraus oft ganz neue Geschichten zusammenzuspinnen.

Wenn zwei Freunde sich an gemeinsam Erlebtes ganz unterschiedlich erinnern, ist genau das passiert, was Psychologen auch in Experimenten zeigen konnten. Elizabeth Loftus etwa hat aufgrund ihrer Experimente den Begriff der ‚false memories’ – verfälschte Erinnerungen – geprägt.

Erinnerungen zu verändern, so die kontrovers diskutierte Psychologin, sei in experimentellen Situationen ein Leichtes. Vor allem Kinder scheinen offen für Suggestionen aller Art. Sie erzählten ihr detailreich von einem wundervollen Flug in einem Heißluftballon. Nur – dieser hatte nie stattgefunden. Die Kinder glaubten daran, weil sie manipulierte Fotos von sich selbst in einem Heißluftballon gesehen hatten.

Isabelle Bareither

 

 

dein Ich ist eingebildet<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

dein Ich ist eingebildet

Es ist eine verwirrende geistige Aufgabe, die Prozesse zu reflektieren, die hinter unseren eigenen Gedanken stehen. Seit Ewigkeiten ringen Philosophen mit dem Problem von Bewusstsein und Ich, und Neurowissenschaftler suchen seit Kurzem nach den neuronalen Entsprechungen. Trotz der Bemühungen vieler kluger Köpfe ist unser Wissen über die Vorgänge, die menschlichen Aktivitäten wie Sprechen, Sehen, Lösen von Problemen und Empfindungen wie Mitgefühl oder sogar Liebe zugrunde liegen, weit davon entfernt, vollständig zu sein.

Obwohl unser Wissen also noch immer begrenzt ist, ist eines sicher: Wer immer wir sind, was immer wir tun und was immer wir fühlen – es hat seinen Ursprung in unserem Gehirn. Genau genommen sind wir unser Gehirn. Mehr und mehr mentale Prozesse können im Gehirn lokalisiert und sichtbar gemacht werden (brain mapping). Und demnach gibt es nichts weiteres: Es ist kein Menschlein im Inneren unseres Schädels versteckt, das alle sensorischen Eingänge beobachtet und Knöpfe drückt, um unsere Gliedmaßen zu bewegen. Manche nennen es die Illusion des Selbst: eine konzeptuelle Verschiebung zwischen dem physischen Körper und einer anscheinend unveränderlich steuernden Person. Wie auch immer − wenn wir in der Lage wären, einen Körper Molekül für Molekül zu kopieren, dann wäre das Duplikat die gleiche Persönlichkeit wie das Original. All das entbindet uns nicht von der Verantwortung für unser Handeln: Wir und unser Gehirn sind nicht zu unterscheiden, sind ein und dasselbe. Natürlich wird das Gehirn laufend durch Erfahrung und Umwelt verändert, aber dies verändert uns und nicht eine separate magische Schachtel für freien Willen und Bewusstheit.

Mit der Zeit werden wir verstehen, auf welche Weise biochemische Prozesse komplexe Verhaltensabläufe wie Gefühle und sogar das Ich ermöglichen. Auch wenn dann das Gehirn im Detail entschlüsselt wird, ist nichts zu befürchten; die komplizierten Mechanismen zu verstehen, die hinter diesen mentalen Prozessen stehen, ändert nichts an der Echtheit unserer Gefühle. Auch wenn wir unser Gehirn sind – ungefähr 1.300 Gramm graues Gewebe –, es macht uns besonders als Individuum.

Chris Filo Gorgolewski

 

 

dein Darm denkt mit<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

dein Darm denkt mit

Wir hören auf unser Bauchgefühl, haben Schmetterlinge im Bauch und von Zeit zu Zeit ein flaues Gefühl im Magen. In unserem Sprachgebrauch sind die Signale, die unser Bauch an das Gehirn sendet, ganz selbstverständlich – bewusst wird uns das aber selten.

Dabei besitzt dieses „zweite Gehirn“ im Darm bemerkenswerte Fähigkeiten: Es sendet Informationen über Verdauungsfunktionen, beeinflusst unsere Gefühle und Entscheidungen und kann uns sogar empfänglicher für gewisse Krankheiten machen. Der Darm ist beim erwachsenen Menschen ca. acht Meter lang und besitzt aufgrund seiner feinen Darmzotten eine Oberfläche, die etwa hundertmal größer ist als die der Haut. Auch befinden sich in der Darmwand vergleichbar viele Nervenzellen wie im Rückenmark, sie bilden in ihrer Gesamtheit das Enterische Nervensystem (ENS).

Manchmal ist ein Gehirn eben nicht genug, deswegen horchen wir bei wichtigen Entscheidungen gerne in uns hinein: Das Bauchgefühl, die Intuition, kann uns das nötige Vertrauen in eine gewählte Option geben und unser Urteil bestärken. Schon die simple Entscheidung, was man zu Abend essen möchte, wird von unserem Bauchgefühl bestimmt. Hier signalisiert das ENS unserem Gehirn, nach welcher Nahrung es suchen soll: Stehen wir etwa unter großem Stress, greifen wir bevorzugt zu Pommes rot-weiß und verschmähen den Salat. Die Verdauung solch fettreicher Nahrung hat den Effekt, dass sich unsere Laune verbessert. Unsere Ernährung beeinflusst auch, welche Bakterien sich in der Darmflora ansiedeln, die hauptverantwortlich für unsere Verdauung ist. Neuere Untersuchungen zeigen, dass diese Bakterien seit unserer Geburt in ständigem Kontakt mit dem Gehirn stehen und vermutlich einen Einfluss darauf haben, wie empfänglich wir für Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Essstörungen oder auch für Depressionen und Ängstlichkeit sind. Von wegen „alles Kopfsache“ – dein Darm denkt mit!

Lina Schaare und Henning Grabow

 

 

dein Gehirn sucht Freunde<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

dein Gehirn sucht Freunde

Lange Zeit haben Wissenschaftler ihren Blick auf einzelne Gehirne gerichtet. Wir gingen davon aus, dass jedes Gehirn sich weitgehend unabhängig von den Gehirnen anderer Menschen entwickelt. Natürlich wussten wir, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und in Gruppen lebt und gingen zumindest davon aus, dass ein einzelnes Gehirn mit anderen Gehirnen kommuniziert wie z.B. ein Computer mit anderen Computern.

Mehr und mehr erkennen wir aber, dass ein Gehirn in ganz wesentlichen Teilen seiner Struktur und Funktion die Existenz anderer Menschen und somit anderer Gehirne voraussetzt: So gibt es spezialisierte Strukturen für das Erkennen von Gesichtern, für den sprachlichen Austausch oder Areale, die Einfühlungsvermögen (Empathie) mit anderen Menschen ermöglichen. Diese Funktionen machen – neben anderen – einen Menschen aus. Hinzukommt, dass sich manche dieser Hirnareale nur im Kontakt mit anderen Menschen zu ihrer vollen Funktionsfähigkeit entfalten können. Ein Gehirn ist also nur zu einer vollständigen Entwicklung fähig und wird wesentlichen Funktionen nur dann voll gerecht, wenn es in Kontakt mit den Gehirnen anderer Menschen tritt.

Diese Erkenntnisse spiegeln sich in der Neurowissenschaft wider. In den letzten Jahren hat sich hier als neue Disziplin die soziale Neurowissenschaft entwickelt. Sie untersucht die Vorgänge in unserem Gehirn, in denen sich dessen Fähigkeiten zu sozialen Kontakten manifestieren.

Arno Villringer

 

 

deine Ideen verändern dein Gehirn<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

deine Ideen verändern dein Gehirn

Wir wissen, dass alle unsere Gedanken, Ideen und Erinnerungen aus unserem Gehirn entstehen. Egal wie flüchtig die jeweiligen Vorgänge sind, all das ist das Ergebnis der Aktivität und der Kommunikation von Millionen von Nervenzellen, die miteinander über synaptische Verbindungen in einem permanenten Austausch stehen.

Die Nervenzellen, die wir als Erwachsene haben, sind nicht dieselben, mit denen wir auf die Welt kommen. Während der Entwicklung vom Neugeborenen zum Erwachsenen werden immer wieder neue Nervenzellen gebildet, neue Verbindungen hergestellt und andere abgeschwächt. Die Erfahrungen, die wir während unserer Entwicklung machen, was wir denken, wie wir uns verhalten, all dies bestimmt, welche und wie viele Verbindungen letztlich erhalten bleiben. Je stimulierender eine Umgebung ist, je mehr Erfahrungen wir verarbeiten, umso mehr passt sich das Gehirn an und entwickelt sich seinerseits. Der Prozess der ständigen Anpassung kommt nie zum Stillstand, sondern setzt sich fort, solange das Gehirn lebt.

Stellen Sie sich vor, Sie lernen Klavierspielen. Am Anfang lernen Sie ein neues Stück, indem Sie sich Taste nach Taste bewusst merken. Durch wiederholtes Training läuft dieser Prozess zunehmend automatisiert, effizienter und in vielen Aspekten unbewusst, also ohne große geistige Anstrengung, ab. Das liegt daran, dass sich im Gehirn bestimmte neue Verschaltungen gebildet haben, die zum Beispiel eine Abfolge von Tönen repräsentieren und dieses gespeicherte Muster wie automatisiert abspielen können.

Durch Fortschritte im Bereich der Bildgebung können wir dem Gehirn beim Lernen und beim Erstellen neuer Verknüpfungen gewissermaßen zuzusehen und besser verstehen, wie die zeitliche Abfolge dieser Lernvorgänge und der damit verbundenen Veränderungen im Gehirn ist. Wann immer wir über längere Zeit eine bestimmte geistige Aktivität wiederholen, verändern wir damit unser Gehirn. Die aktivierten Gebiete werden größer und bilden immer mehr neue Verbindungen mit anderen Teilen des Gehirns. Man spricht von Netzwerken – Gruppen von Gehirn-Arealen –, die letztlich einer bestimmten Funktion des Gehirns zugrunde liegen. Diese passen sich ständig an neue Situationen an und ermöglichen uns, auf gleiche oder ähnliche Herausforderungen besser zu reagieren.

Unser Geist bzw. unser Denkvermögen sind demnach keine Sklaven eines biologisch vordeterminierten Computers. Durch unser Verhalten und unsere Gedanken können wir sozusagen die hardware ständig ändern.

Samyogita Hardikar

 

 

du gehst anderen auf die Nerven<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

du gehst anderen auf die Nerven

Stellen Sie sich vor, Sie sollen eine Handlung oder eine Bewegung, die eine andere Person gerade ausführt, nachmachen. Das ist immer dann der Fall, wenn wir etwas Neues lernen – zum Beispiel als Kind Radfahren oder als Erwachsener tanzen. Was dabei im Gehirn abläuft, stellte man sich bis vor einiger Zeit so vor: Zunächst sind diejenigen Areale im Gehirn aktiv, die Informationen und Reize aufnehmen, also sensorische Gebiete wie die Zentren für das Sehen oder das Hören. Erst, wenn es ums Nachahmen selbst geht, treten die motorischen Gebiete in Aktion, die für das Handeln und für Bewegungen zuständig sind.

Eine Entdeckung von Forschern um den italienischen Neurologen Giacomo Rizzolatti hat diese Sichtweise ganz grundsätzlich in Frage gestellt: Sie beschrieben in der sogenannten prämotorischen Rinde eines Affen, also einem Gebiet, das für Handlungen zuständig ist, bestimmte Nervenzellen, die auch ohne eigenes Handeln aktiv wurden – nämlich genau dann, wenn der Affe eine Handlung beobachtete. Wenn der Affe die Handlung selber durchführte, waren dieselben Nervenzellen ebenfalls aktiv. Also sind dieselben Nervenzellen sowohl bei der Beobachtung einer Handlung als auch bei deren Ausführung beteiligt. Schon bei der Beobachtung einer Handlung ahmt unser Gehirn also nach. Die dafür zuständigen Nervenzellen wurden Spiegelneuronen genannt. Schnell wurde der beschriebene Befund bestätigt und zu einem neuartigen Konzept der möglichen Rolle von Spiegelneuronen verallgemeinert: Könnte es sein, dass wir das – was immer wir bei anderen Menschen beobachten – innerhalb unseres Gehirns quasi selber erleben? Besonders wichtig könnte dies zum Beispiel sein für das Phänomen der Empathie, also für unsere Fähigkeit, Gefühle anderer Menschen nachzuempfinden. Im Konzept der Spiegelneuronen würden wir die Gefühle anderer also nicht bloß beobachten, sondern wir würden diese in unserem Gehirn tatsächlich selber erzeugen. Das, was andere Menschen tun, könnte uns also buchstäblich auf die Nerven(-zellen) gehen.

Christiane Rohr

 

 

dein Gehirn mach Sinn<br>(Plakatmotiv aus einem Kunst-Projekt von Adib Fricke, Bedeutungslabor.com)

dein Gehirn macht Sinn

Manchmal bereiten dir Sachen, die du nicht verstehst, Kopfschmerzen. Zumindest sagt man das so. Es ist eine Redewendung, die andeutet, was eigentlich hinter der Verwirrung steckt: das Gehirn in deinem Kopf. Es organisiert deine Gedanken, ordnet Neues in den Kosmos deiner Erfahrungen ein und beschwert sich, wenn was nicht zusammenpasst. Dann fühlst du, dass da was nicht stimmt, und das lässt dich erst einmal nicht los, denn dein Gehirn will es wissen. Es schafft sich Sinn.

Viele Neurowissenschaftler glauben heute, dass sich dein Gehirn ein großes Modell deiner Welt in deinem Kopf baut. Dieses Modell ist das Resultat deiner Erfahrungen und es repräsentiert alles, was du über deine Welt weißt. Dein Gehirn benutzt das Modell, um vorherzusagen, was um dich herum passiert. Stimmt die Vorhersage nicht, obwohl sie dir wichtig ist, muss dein Gehirn das Modell anpassen, die Dinge geraderücken. Es lernt. Aber wenn das richtig schwierig ist, sagst du, hast du Kopfschmerzen.

Sebastian Bitzer